Die 100. Wiederkehr seines Geburtstages ist ein besonders schöner und vor allen Dingen auch sinnvoller Anlass, an den langjährigen, kreativen und musikwissenschaftlich in hohem Maße kompetenten Leiter der Alkor-Edition zu erinnern.
Fritz Oeser wurde im ost-thüringischen Gera an jenem Tag geboren, an dem in Wien der große Gustav Mahler in seinem 51. Lebensjahr gestorben ist; einige Monate zuvor, am 26. Januar, einen Tag vor Mozarts 155. Geburtstag, begann in Dresden der bis heute ungebrochene Siegeszug von Hofmannsthals und Richard Strauss' Komödie für Musik „Der Rosenkavalier“ – beiden Komponisten fühlte sich Oeser später verpflichtet: Mag ihm bei Mahler die zufällige Datums-Koinzidenz (von ihm selbst mit einem Fragezeichen versehen) Verpflichtung gewesen sein, so hat er sich zu einigen Bühnenwerken von Richard Strauss in auch heute noch lesenswerten Abhandlungen geäußert. Von 1930 an studierte Oeser in Leipzig Musikwissenschaft, gleichzeitig auch Schulmusik am Konservatorium der sächsischen Musik-Metropole, und wurde 1938 - nach Quellenstudien im südlichen Nachbarland Österreich – von Helmut Schultz mit einer Arbeit über „Die Klangstruktur und ihre Aufgabe in Bruckners Symphonik“ zum Dr. phil. promoviert. Mit diesem Thema gelang ihm dann sehr rasch der Eintritt in den Leipziger Musikwissenschaftlichen Verlag, in dem er als Lektor und Mitarbeiter der im Entstehen begriffenen (ersten, nicht vollständigen) Anton-Bruckner-Ausgabe mitgewirkt hat. Nach Kriegszeit als Soldat und kurzer Gefangenschaft in den Jahren 1940 bis 1946 gelang es Oeser 1947, mit dem Bruckner-Verlag und seiner Familie – er hatte im Dezember 1949 die Konzert-Sängerin Anna Maria Augenstein geheiratet – aus Leipzig nach Wiesbaden zu übersiedeln, gründete dort den Verlag um, führte die Bruckner-Ausgabe („Sämtliche Werke“) weiter und edierte in ihr 1950 selbst die zweite Fassung der „3. Symphonie in d-Moll“. Im Jahre1955 entstand für Fritz Oeser und seine Familie (drei Kinder, geboren 1941, 1947 und 1950) mit dem Umzug nach Kassel eine völlig neue und dann für ein Viertel-Jahrhundert bestehende Lebenssituation, deren Wendepunkt Karl Vötterle in seinem „Haus unterm Stern“ (3/1969) anschaulich geschildert hat:„In jenen Monaten [des Jahres 1955] entschied es sich, dass der Bruckner-Verlag Wiesbaden, unter dem Namen Alkor-Edition (Alkor ist die arabische Bezeichnung des Bärenreiter-Sterns) nach Kassel übersiedelte. Dadurch, dass er die Verbreitung der in der ganzen Welt geachteten Wiener Gesamtausgabe der Werke Bruckners besorgte und dass sich dieser nun die Prager Dvořák-Gesamtausgabe […] zugesellte(n), war plötzlich das bisher fehlende 19. Jahrhundert in meinen Verlagskatalogen vertreten. Dazu kam noch ein wirklicher Glücksfall: Mit dem Bruckner-Verlag kam Dr. Fritz Oeser in mein Haus. Als Kenner der Oper und des Schaffens von Bruckner, Dvořák und Smétana konnte er sich nun ausgiebig dem 19. Jahrhundert widmen“, und Fritz Oeser nutzte diese große Chance und wurde zu einem sein abgestecktes Feld unermüdlich bearbeitender bedeutender Musik-Verleger und Editor, der sich darüber hinaus auch in essayistischer Form meisterlich auszudrücken verstanden. Im Mittelpunkt von Oesers Arbeiten in Kassel stand (Karl Vötterle nennt es „Markstein dieser Entwicklung“) 1964 die kritische Neuausgabe der originalen Dialog-Fassung von Georges Bizets „Carmen“, zu der der große Theater- und Opernmann Walter Felsenstein die deutsche Text-Übertragung beigesteuert hat. Diese Großtat von Oeser und Felsenstein hat der Alkor-Edition auf allen Opernbühnen der Welt ein Prestige zukommen lassen, wie es einem Musik-Verlag nicht alle Tage beschieden ist. Zur Ausgabe „nach den Quellen“ selbst gehört im „Anhang-Band“ ein vorbildlicher Vorlagenbericht [Kritischer Bericht] von Fritz Oeser. Haben sich in der Zwischenzeit neue (auch Quellen-)Erkenntnisse ergeben, so spielt Oesers „Carmen“-Edition nach wie vor, also nach fast einem halben Jahrhundert, international in der „ersten Liga“ mit. Ihr folgte 1977 die Neuausgabe von Jacques Offenbachs „Les contes d’Hoffmann (Hoffmanns Erzählungen)“. Unter dem Pseudonym „Paul Friedrich“ widmete sich Oeser – vornehmlich in der Funktion des Übersetzers, aber auch in der des Bearbeiters – dann Bühnenwerken von Ján Cikker, Christoph Willibald Gluck, Carl Millöcker, Nikolai Rimski-Korsakow, Peter Iljitsch Tschaikowski oder von Gioachino Rossini zu, wobei er sich in vielen Fällen, wie schon bei der „Carmen“, der Mitarbeit bedeutender Regisseure seiner Generation, wie etwa Günther Rennert, vergewissert hat. Die Folge weiterer Editionsarbeiten, aber auch Bearbeitungen von Konzertwerken vornehmlich aus dem 19. Jahrhundert ist Legion und kann in einer kurzen „Erinnerung“ nur am Rande erwähnt (nähere Einzelheiten dazu im Artikel „Oeser, Fritz“ in: MGG1 , Band 16: Supplement E-Z). Fritz Oeser, der seine führende Tätigkeit in der Alkor-Edition und dann auch im Bärenreiter-Leitungskreis frühzeitig, nämlich bereits 1976, aufgegeben hat, um den Schwerpunkt auf die freischaffende wissenschaftliche Arbeit zu Hause legen zu können, ist nach längerer Krankheit am 23. Februar 1982, also erst 70jährig, in Kassel gestorben. Sehr dezidiert lag Fritz Oeser an einer strengen Trennung zwischen privater Sphäre und seiner bis zum Lebensende kaum unterbrochenen, immer wieder von neuem zu bewundernden, in diesen Erinnerungszeilen geschilderten Tätigkeit – wenn zu ihrem Beschluß die private Seite dennoch kurz zu Wort kommen soll, so deshalb, weil der Unterzeichnende von 1955 bis kurz vor seinem Tod Fritz Oesers Arbeitskollege gewesen ist. Uns verband eine persönliche und von weitgehend derselben Arbeit bestimmte Freundschaft (wir waren auch viele Jahre nächste Nachbarn nicht nur im Beruf, sondern auch im täglichen Leben), und es mag in diesem Zusammenhang erlaubt sein, einige wenige, durchaus persönliche Worte aus meiner kurzen Rede anlässlich der privaten Feier zu Fritz Oesers 70. Geburtstag zu zitieren: „Wenn ich auch unseren Altersunterschied in diesem Moment nicht verraten will [er beträgt fast zwei Jahrzehnte], so sei dieses ,Problem‘ damit beiseite geschoben, dass ich mich als Ihren ,jüngeren Freund‘ bezeichne – das ist für Sie, aber auch für mich in jedem Fall die schmeichelhaftere, die elegantere Lösung […], nicht zuletzt auch deshalb, weil Sie, lieber Herr Oeser, den Begriff des ,jungen Freundes‘ gerne und stets ohne jenem pejorativen Beigeschmack, der ihm eigen sein kann, gebrauchen.“ Wolfgang Rehm (Januar 2011)
|