Fritz Oeser
Entstehungsgeschichte


Léon Carvalho hatte im Februar 1856 das Théatre Lyrique übernommen, eine Bühne also, der die Benützung von Sprechdialogen vorgeschrieben war. Er ging in einer Unterhaltung mit Gounod auf den Vorschlag einer Faust-Oper sofort ein und erteilte den Autoren den Auftrag.

Gounods Kompositionsarbeit wird rasch fortgeschritten sein, erst Ende Februar 1857 trat eine Stockung ein. Ein rivalisierender Theaterdirektor hatte Carvalho wissen lassen, dass er ein Faust-Stück vorbereite. Carvalho wollte das Konkurrenzprojekt sich erst totlaufen lassen und bestellte deshalb bei seinen Autoren als vorübergehenden FAUST-Ersatz eine Moliére-Vertonung.

Die drei lieferten sie so rasch ab, dass der Médicin malgré lui (Der Arzt wider Willen) schon im Januar 1858 in Szene gehen konnte. Lagen im Oktober 1857, als Gounod von einer starken, wenngleich kurzen Nervenkrise erfasst wurde, fast zwei Akte fertig komponiert vor, so dürfte er vom Jahresende an die Komposition anhand der früheren Einfallsnotizen rasch vollendet haben.

Es begann erst einmal eine lange und mühselige Probenzeit mit vielen Misshelligkeiten. Zunächst beschloss die Frau des Direktors, die ausgezeichnete Sängerin und Darstellerin Marie Miolan-Carvalho, mit der Rolle der Margarete den Wechsel vom Fach des „sopran léger“ zum lyrischen bis jugendlich-dramatischen Sopran zu vollziehen, und tauschte mit der ursprünglich vorgesehenen Demoiselle Ugaldi die Premierenrollen aus. Aber nun fing Carvalho an, die von ihm sehr geliebte Doppelrolle des schöpferischen Regisseurs und autoritativen Direktors zu spielen …

Nach dem Zeugnis des jungen Massenet, der die Proben als Paukist mitmachte, erregten Carvalhos Maßnahmen den Komponisten mitunter bis zu Tränenausbrüchen. Lange nach dem ursprünglich vorgesehenen Premierentermin (Ende November 1858) schrieb Gounod am 4. Januar 1859 resigniert an Bizet, FAUST würde „fieberhaft probiert“, nur könne er überhaupt nicht mehr beurteilen, was an ihm gelungen sei, was nicht.

Am Abend vor der Generalprobe Ende Februar stellte sich heraus, dass die Oper immer noch mehr als vier Stunden dauerte, so musste Gounod eilends noch weitere Striche anzeigen.

Vor allem: Der junge Tenor Guardi (Gruyer), enger Freund Bizets und Gesangsschüler von dessen Vater, wurde bei der Generalprobe heiser und erwies sich überhaupt der Partie nicht gewachsen. Erst nachdem der Tenor Barbot die Faustpartie in drei Wochen gelernt hatte und durch den päpstlichen Nuntius die Bedenken des Zensors, die Szene im Dom könne das Missfallen des Vatikans erregen, ausgeräumt waren, konnte die Premiere am 19. März 1859 vonstattengehen.


Aus dem Bericht im Anhang des Klavierauszugs