Symfonie in D-Moll, lesen wir auf dem Widmungsblatt der Sinfonie, die Anton Bruckner 1873 Richard Wagner gewidmet hatte [link]. Ein populäres Werk; allerdings war diese 3. Sinfonie noch vor wenigen Jahrzehnten weitaus häufiger zu hören, als in den letzten Jahren. Das hat wohl seinen Grund in der verwirrenden Vielfalt der jetzt vorhandenen Fassungen, die alle den Anspruch erheben, autorisiert zu sein.

Die Sinfonie war in der Fassung des zweiten Drucks von 1890 populär geworden. Zwar gab Fritz Oeser die Fassung des ersten Drucks von 1878/80 im Jahre 1950 neu heraus; 1958 und 1980 erschienen in der Gesamtausgabe – von Leopold Nowak herausgegeben – die handschriftlichen Stichvorlagen von 1877 [III./2] und 1889 [III./3]. Aber erst 1977 wurde die Urform [III./1] von 1873 allgemein zugänglich; nachdem die erste Auflage (ed. Robert Haas 1944) durch den II. Weltkrieg fast völlig vernichtet worden war.

Populär blieb jedoch bis in die 70-er Jahre des 20. Jahrhunderts stets die letzte, die sogenannte 'Endfassung' – bei der Druck und Stichvorlage sehr wenig von einander abweichen – ja dieser zweite Druck wirkt authentisch, da er an einigen markanten Stellen auf den ersten Druck zurückgreift. Die übrigen Abweichungen vom Manuskript sind kluge, hilfreiche Ergänzungen eines erfahrenen Dirigenten, die nichts Wesentliches verändern, die Aufführung aber sehr erleichtern. Im Grunde war diese Partitur eine 'Originalfassung' gewesen. Allerdings hatte Bruckner für das Finale eine stark gekürzte und eigenwillig retouchierte Abschrift von Franz Schalk verwendet. Daher gibt es grosse, oft sehr befremdliche stilistische Unterschiede zwischen den ersten drei Sätzen und dem Finale. Die ungekürzte (2.) Fassung des Erstdrucks (1878/80) – trotz ihrer Wertschätzung durch viele prominente Musiker – wurde lange Zeit wenig gespielt, erst in den letzten Jahren kann man häufige Aufführungen feststellen. Dabei ist gerade diese Fassung durch und durch 'typischer Bruckner'. Aber manches wirkt eben in der Endfassung überzeugender.

Wissenschaftlich betrachtet sind a l l e Ausgaben untadelig, aber der ausführende Musiker bleibt mit diesen Partituren gelegentlich doch etwas ratlos. Daher muss angemerkt werden, dass der Weg, den Robert Haas als Pionier der Gesamtausgabe ging, in einigen Fällen (2./8. Sinfonie) durch musikalisch feinfühlig erstellte Mischfassungen dem 'echten Sinn und Klang' näher zu kommen, ebenso legitim ist, als der heute gängige Weg, sich für eine, der oft widersprüchlichen Fassungen – mit ihren offenkundigen Mängeln – zu entscheiden.

Die von mir jetzt vorgelegte 'Endgiltige Konzertfassung' der 3. Symfonie hält sich soweit als möglich an die vollständige Fassung des Erstdrucks, und integriert diejenigen gelungenen Elemente der letzten Fassung, die von Bruckner selbst stammen. So entstand eine Partitur, die formal ausgewogen blieb – aber ohne die Längen des Erstdrucks – und in ihrer Klanglichkeit original wirkt. Hans Ferdinand Redlich, dem diese Problematik schon früh auffiel, schlug zwar 1954 (und dann nochmals 1961) im Falle der 4. und 3. Sinfonie die Schaffung "Praktischer endgiltiger Partituren" vor, aber es kam nur ansatzweise zu solchen Konzert- Fassungen. Allerdings übernahm Lovro von Matačić Details der Endfassung in seine Aufführungen der 2. Fassung.

Robert Haas hatte schon sehr früh die besondere Bedeutung dieser Sinfonie erkannt, die an der Schwelle zur reifen Brucknersinfonie steht. Aufgrund unglücklicher politischer Ereignisse konnte er dieses Werk leider nicht mehr herausgeben. Die Leitung der Gesamtausgabe wurde ihm nach 1946 entzogen und seine untadelige wissenschaftliche Arbeit wird bis heute oft unter einseitig, politischem Blickwinkel gesehen. Da es Robert Haas nicht mehr vergönnt war die 3. Sinfonie vorzulegen, habe ich diese neue Partitur seinem ehrenden Andenken gewidmet.

Wiesbaden, im Herbst 2007. Joseph Kanz